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Inhalt: Wirtschaftliche Entwicklung des Gewerbes, der Saline, des Handwerks und Handels zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Schwäbisch Hall

Die wirtschaftliche Entwicklung von Hall im Zeitalter Napoleons

“Das Hauptgewerbe der Stadt besteht in der Saline” 1). Mit diesen Worten charakterisierte Senator Johann Friedrich Hetzel zu Beginn des 19.Jahrhunderts die Haller Wirtschaft. Auch ein Chronist sah in der Sole “die Urquelle von Halls Daseyn und Wohlstand” 2). Diese Einschätzung ist auch aus heutiger Sicht berechtigt. Zwar waren die Landwirtschaft und das Handwerk zahlenmäßig bedeutender, der führende Wirtschaftszweig war aber schon seit dem Mittelalter die Salzproduktion. Die zentrale Bedeutung, die sie einnahm, wird nicht nur daran deutlich, dass sie einem großen Teil der städtischen Bevölkerung eine Beschäftigung bot, sondern auch, dass die Saline ein wichtiger Auftraggeber für das Handwerk war. Davon profitierten in erster Linie die Kübler und Küfer, die Fässer für die Lagerung und den Transport des Salzes herstellten. Aber auch für manchen Maurer, Zimmermann, Drechsler, Glaser, Schreiner, Wagner, Seiler und Seifensieder bot die Saline Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten. Außerdem konnten durch die fremden Händler und Fuhrleute, die der Salzhandel in die Stadt zog, “Bäcker, Fleischer, Wirthe und jeder Handwerksmann ihren gelegentlichen Vortheil machen” 3).

Marktgescheihen 2002 Diese positiven Wirkungen auf das Handwerk und den Handel verstärkten ebenfalls die Nachfrage nach Lebensmitteln. Deshalb erhöhte sich auch der Absatz der Landwirte, die mit Butter, Schmalz, Milch, Geflügel, Eiern und Gemüse auf den Wochenmarkt zogen und die Bürger der Stadt mit Nahrungsmitteln versorgten. Mit den Erlösen erstanden sie gewöhnlich bei Haller Gewerbetreibenden handwerkliche Erzeugnisse, die in den Gemeinden nicht oder nur in minderer Qualität zu haben waren. Andererseits darf aber der Stellenwert von Handwerk, Handel und Landwirtschaft nicht gering geschätzt werden, weil die Saline zur Aufrechterhaltung der Produktion leistungsfähige Zulieferer benötigte und die Versorgung der Salinearbeiter mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern sichergestellt sein musste 4).

Neben diesen gewiss bestimmenden Wirtschaftszweigen ist der rege Viehhandel zu erwähnen, der für die hällisch und hohenlohischen Landwirte, die das Glück hatten, in einem der fruchtbarsten Gebiete Deutschlands zu leben, ein lukratives Geschäft war: Sie kauften Vieh in Ungarn oder Österreich, ließen es auf den saftigen Hohenloher Wiesen weiden und exportierten nach einigen Wochen die gemästeten Tiere über Straßburg und Metz bis nach Paris. Dies hatte zur Folge, dass Ende des 18. Jahrhunderts in hiesiger Region viele französische Münzen im Umlauf waren 5).

Kaum weniger bedeutend war die Forstwirtschaft, denn die großen Waldbestände dieser Gegend und deren ökonomische Nutzung bewirkten einen lebhaften Handel mit den „in den hällischen und limpurgischen Sägmühlen erzeugten geschnittenen Waren an Brettern, Bohlen, Latten, welche ... in das Weinsberger Thal, in das Hohenlohische, in die unteren Gegenden des Neckars, vorzüglich nach Franken [sowie] in den Jaxt und Taubergrund“ geliefert wurden 6). Daneben entwickelte sich in Hall ein wichtiger Umschlagplatz für Getreide aller Art, auf dem sich nicht nur hiesige Bauern einfanden, sondern auch Erzeuger aus dem Umland und aus Bayern 7).

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren auf wirtschaftlichem Gebiet vereinzelt dunkle Wolken aufgezogen: Bei der Saline hatten Oberschwemmungen des Kochers zu Produktionsstockungen und zu Ertragsminderungen geführt. Im Handwerk verschärfte sich, wie in anderen Regionen Deutschlands, die Konkurrenzsituation. Die Verringerung der Sterbequote und die Erhöhung der Geburtenzahl bewirkten eine Bevölkerungszunahme und führten dazu, dass immer mehr junge Menschen einen Handwerksberuf anstrebten, den sie nach Vätersitte auf eigene Rechnung ausüben wollten. Durch die Vermehrung der Gewerbebetriebe griffen die zunftwirtschaftlichen Mechanismen, die einem Handwerker einen ausreichenden Absatz und damit die „Nahrung“ sichern sollten, besonders in Zeiten von Missernten (zum Beispiel 1770/71) nicht mehr in dem bekannten Maße 8). Trotz dieser Alarmzeichen war Hall Ende des 18. Jahrhunderts noch wirtschaftlich gesund. Knapp 25 Jahre später sprach der Stadtrat von den „mit ihrer physischen Existenz ringenden Individuen..., der allgemeinen Gewerblosigkeit..., dem so sehr geschwächten Credit“ des Privatmanns und sah „die große Zahl der niedern Gewerbsleute, Handwerker und Taglöhner... rettungslos verloren“, wenn nicht bald Geld in die Stadt käme 9). Aber wie hatte es dazu kommen können?

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzogen. Diese stehen in engem Zusammenhang mit der Herrschaft Napoleons, der ganz Mitteleuropa mit Krieg überzog. Zur Festigung seiner Macht in Deutschland erhob er einzelne Landesfürsten zu Großherzögen, Kurfürsten oder Königen und schlug zu deren Territorien weltliche und geistliche Kleinstaaten. Auf diese Weise fiel Hall 1802 zusammen mit acht weiteren Reichsstädten an das Herzogtum Württemberg. Der zum Kurfürsten erhobene Herzog Friedrich II. hatte mit der Stadt eine der leistungsfähigsten Salinen in Deutschland gewonnen, mit der er 85 % des württembergischen Salzbedarfs decken konnte 10). Schützenscheibe zur Inbesitznahme der Stadt durch württembergische Truppen im Jahre 1802 Wenig erfreut darüber war aus verständlichen Gründen die Haller Bürgerschaft, die ihre staatliche Selbstständigkeit verloren hatte 11). Der Verlust der Autonomie mag im Bewusstsein der Bürger schmerzlich gewesen sein. Gewichtiger waren jedoch die wirtschaftlichen Konsequenzen, die die politischen Veränderungen nach sich ziehen sollten.

Napoleons Expansionsdrang brachte Hall „eine Menge trauriger Tage, indem die Krieger von Frankreich, Italien, Österreich, Preußen, Rußland, Sachsen und Bayern hin und herzogen, theils im Triumpf, theils als Gefangene von und zu den Schlachten, und Hall und sein ehemaliges Gebieth heimsuchten“ 12). Zwar hatte die Bürgerschaft das Glück, dass keine Kampfhandlungen in ihrer unmittelbaren Nähe stattfanden, aber die „Durchzüge, Standquartiere, Requisitionen und Erpressungen mancher Art“ leerten die städtischen Kassen 13). Glaubt man den Angaben eines Chronisten, beliefen sich die Kosten dafür auf „ungefähr 2 Millionen Gulden“; eine enorme Summe für die damalige Zeit. Deshalb sah sich die Obrigkeit genötigt, neben den allgemeinen Steuern, eine spezielle „Schuldensteuer“ zu erheben 14). Wegen der hohen Abgaben, die die private Kaufkraft verringerten, sank das Haus- und Grundstücksvermögen „im Werthe herab, das baare Geld verlohr sich, und ein großer Teil desselben ging aus dem Lande, der Geldmangel wurde allgemein, die Bedürfnisse stiegen immer höher im Werth; Handel und Gewerb, das ohnehin auf das äußerste beschränkt war, gerieth dadurch in Stocken und lag zuletzt ganz darnieder. Der Wohlstand des Bemittelten verminderte sich, der weniger Bemittelte verarmte, und der ganz Unvermögliche fiel dem Staate zur Last“ 15). Dafür mitverantwortlich waren die Kontinentalsperre, mit der Napoleon England in die Knie zwingen wollte und mit der er die Wirtschaft in Europa lähmte, und die Importbeschränkungen der Franzosen, die den einst bedeutenden hohenlohischen Viehhandel zum Erliegen brachten. Bereits 1805 ist im Ratsprotokoll verzeichnet, dass „sehr viel Mastvieh unverkauft in der Gegend stehe und bis jezt nur wenige Verkäufe ins Ausland und blos nach Frankfurt und Augsburg stattgefunden haben“ und „gegenwärtig keine besonderen Aussichten“ bestünden, „daß der um diese Zeit gewönliche Aufkauf nach Frankreich und in die Unterpfalz wieder eintretten werde“16). Ebenso musste der innerstädtische Handel Einbußen hinnehmen. Bereits 1804 berichtete das Oberamt: „[Die] Absonderung u [nd] Verlegung der Stabsämter Vellberg u[nd] Rosengarten ... aufs Land schwächte die hiesigen Wochenmärkt[e] sosehr, daß nicht mehr die helfte Personen, welche vormals zu Markt zogen, hieher kommt, mithin auch das Gewerb sämtl[icher] Handwerksleute sehr vermindert ist, indem das Landvolk einen großen Teil seines Markterlöses Wieder gegen städtische Fabrikate auszugeben gewont war. Diese Leute ziehen nun auf auswärtige Wochenmärkte“ 17).Brotkasten von 1817, der die kleinen Brötchen des Jahres 1816 zeigt Zu allem Unglück waren die Ernteergebnisse in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts mit Ausnahme der Jahre 1809/10 überaus mager.  Dies führte vor allem im Hungerjahr 1816/17, in dem die Sterbefälle in Hall absolut um etwa 100 Personen höher als im sonstigen jährlichen Mittel lagen, zu einer drastischen Preissteigerung für Lebensmittel (bei Brot über 200 %) 18), die kaum Kaufkraft für gewerbliche Erzeugnisse übrig ließ".

Auch der Anschluss an Württemberg brachte für Hall keine wirtschaftlichen Impulse. Vielmehr belasteten die Bildung der neuen Mittelstaaten und deren restriktive Handelspolitik mit vielfältigen Ein- und Ausfuhrzöllen die gewerbliche Entwicklung. Die Rotgerber brachten 1820 vor: „Gegenwärtig sind wir mit dem Verkauf unserer Fabrikate blos auf das Inland beschränkt. Früher haben wir auch starken Absatz in das Ausland, namentlich auch nach Bayern gehabt. Unser Gewerbe leidet in neueren Zeiten außerordentlich Noth. Eine Hauptursache hievon ist gleich der gänzlich abgeschnittene Verkehr mit dem Ausland. Seit in Bayern bei dem Eingang von dem Zentner Leder 10 fl. [Gulden] Zoll bezahlt werden muß, seitdem können wir dahin durchaus keine Geschäfte mehr machen“ 19).

Gewichtiger als die Kriege, die Zollschranken und die politische Umgestaltung waren die Veränderungen, die sich 1812 mit der administrativen Übernahme der Saline durch Württemberg ergaben. Sie brachte die Aufhebung des freien Salzhandels und die öffentliche Ausschreibung von Aufträgen. Diese Maßnahmen verminderten den Zustrom von fremden Kaufleuten und senkten die Gewinnspanne der Handwerker, weil nunmehr die preisgünstigsten Anbieter den Zuschlag erhielten. Die Seifensieder klagten 1819, sie hätten „durch die Veränderung der Saline so viel Schaden, der sich nicht berechnen läßt, denn so lange der freye Verkauf deß Salzes hier wahr, kamen Tausende, die solches abholten, wodurch wir nicht nur an Fremde, sondern auch an die hiesigen Inwohner vielmehr absetzten. Jetzt aber werden die Lichter nebst anderen Artikeln, davon die Königliche Saline benöthigt ist, an den wenigst nehmenden veraccordirt, wodurch [wir] sonst alle Nahrung hatten“ 20). Die öffentliche Ausschreibung verschlechterte auch die Einkommenslage der städtischen Unterschicht. Während früher die Salzsieder die Holzspaltarbeiten ausführten, betraute man jetzt die „wenigst nehmenden“ mit diesen Geschäften. Das waren Tagelöhner, die aus dem Umland nach Hall zogen. Im Jahre 1817 verloren sie ihre Arbeitsstellen, weil das benötigte Holz nicht mehr in ganzen Stämmen nach Hall geflößt und dort gespalten, sondern bereits vor dem Transport zerkleinert wurde. Nach Angaben des Stadtrats entgingen damit der „ärmsten Klasse“ jährlich 15:000 bis 20:000 Gulden und die Stadt musste „50 - 60 Familien mit Almosen unterstützen..., welche sich sonst selbst ernährt haben“ 21). Im Handwerk verschärfte sich die Situation, die sich bereits Ende des 18.Jahrhunderts angekündigt hatte. Die weiter zunehmende Bevölkerung und die vermehrte Lehrlingsausbildung erhöhten die Zahl der selbständigen Gewerbetreibenden. In Zahlen: 1804 gab es in Hall 420 zünftige Handwerksmeister mit 226 Gesellen und 71 Lehrlingen - um 1820 waren es bereits über 600 Betriebe 22). Da aber die Nachfrage nicht im selben Maße stieg, verringerte sich das Pro-Kopf-Einkommen der Mehrzahl der Haller Bürger. 1819 zählten von den 6356 Stadtbewohnern insgesamt 730 (etwa 12% der Gesamtbevölkerung) zu den Bedürftigen, und im Oberamt lag der Armenanteil 1822 mit 7 % deutlich über dem Landesdurchschnitt mit 5 % 23).

Somit war Hall, dessen Bürger noch Ende des 18. Jahrhunderts in relativem Wohlstand gelebt hatten, im Zeitalter Napoleons durch dessen politische Veränderungen und Kriege sowie Agrar- und Strukturkrisen, die sich teilweise kumulierten, zu einer wirtschaftlich geschwächten Landstadt herabgesunken.

Bilder:
Marktgeschehen  im Jahre 2002
Schützenscheibe zur "Inbesitznahme" der Stadt
(mit freundlicher Genehmigung des HFM)
Brotkasten von 1817, der die kleinen Brötchen des Jahres 1816 zeigt
(mit freundlicher Genehmigung des HFM)

Anmerkungen

1) Verfassung und Statuten der Reichsstadt Schwäbisch Hall, verfasst von Johann Friedrich Hetzel, Senator, 1803.
2) StAH, 19/332, S.249, aus einer geschichtlichen Betrachtung der Stadt Hall von 1831.
3) Verfassung und Statuten (wie Anm. 1).
4) Vgl. Otto Windmüller. Das Handwerk in Schwäbisch Hall vom Ende der Reichsstadtzeit bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im Jahr 1862, St. Katharinen 1987, S. 135f.
5) Vgl. Weber (Hofrat): Der Viehhandel im Hohenlohischen im Jahre 1823. In: Württembergische Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik und Topographie, 1823 II, S. 463.
6) Verfassung und Statuten (wie Anm. 1).
7) Vgl. StAH, 21/1858, Schreiben des Stadtrats und Stadtschultheißen (wahrscheinlich an das Oberamt) vom 10.12.1823.
8) Vgl. Otto Windmüller: Das Handwerk (wie Anm. 4), S. 117.
9) StAH, 21/2049, Schreiben des Stadtrats Hall an die Regierung des Jagstkreises, Ellwangen, vom 11.1.1827.
10) Vgl. Werner Matti: Verfassung und Wirtschaftspolitik der Saline Schwäbisch Hall bis zum Jahre 1802. Diss. Tübingen 1952, S. 303.
11) Vgl. Walter Döring: Die Mediatisierung der Reichsstadt Hall durch Württemberg 1802/03. In: Württembergisch Franken 67 (1983), S. 133. 12 StAH, 19/332, (wie Anm.2).
13) StAH, 21/1932, "Bitten, Beschwerden und Anträge" von über 150 Haller Bürgern an den Stadtrat vom 28.4.1817.
14) Vgl. StAH, 19/332, (wie Anm. 2).
15) StAH, 21/1932, (wie Anm. 13).
16) StAH, 19/451, Ratsprotokoll vom 14.3.1805.
17) StAH, 3/72, "Beibericht" des Oberamts Hall zu einem Schreiben der Haller Hafnerzunft an den 1. Senat der Oberlandesregierung Ellwangen vom 31.8.1804.
18) Vgl. Otto Windmüller: Das Handwerk (wie Anm. 4), S.139ff, sowie StAH, Totenbücher von St. Katharina und St. Michael aus den Jahren 1810 ff.
19) StAL, E 170, Bü 728, Schreiben der Haller Rotgerberzunft an die Zentralstelle des Handels- und Gewerbevereins Stuttgart vom 18.2.1820.
20) StAH, 3/185, Schreiben der Heller Seifensieder an das Oberamt Hall vom 19.2.1819.
21) StAH, 21/2162, Schreiben des Stadtschultheißenamts Hall an die Armenkommission, ohne Datum (wahrscheinlich 1819).
22) Vgl. StAH, 21/2163, Statistische Obersicht des Oberamts Hall vom 27.10.1804 in Verbindung mit StAL, E 253, 1. Bd. 424 ff., Gewerbekataster.
23) Vgl. StAH, 21/2162, (wie Anm.21) in Verbindung mit 21/2260, Schreiben des Oberamts Hall an den Stadt- und Stiftungsrat Hall vom 22.1.1822.

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